Aktuelle Studie zu Ernährung und Insulinresistenz: Spätes Essen erhöht das Risiko
- Dr. Christian Lunow
- 1. Okt.
- 5 Min. Lesezeit
Eine ausgewogene Ernährung ist langfristig ein entscheidender Faktor für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Doch nicht nur was und wie viel wir essen, spielt dabei eine Rolle, sondern auch wann wir essen. Besonders spätes Essen – also große Mahlzeiten am Abend oder kurz vor dem Schlafengehen – wird zunehmend mit Stoffwechselproblemen in Verbindung gebracht. Eine aktuelle Studie zeigt: Auch Insulinresistenz, die langfristig zu Typ-2-Diabetes führen kann, könnte durch ungünstige Essensgewohnheiten beeinflusst werden.

Was bedeutet Insulinresistenz?
Zucker (Glukose), den wir aus unserer Nahrung aufnehmen, ist der wichtigste und schnellste „Energielieferant“ für unseren Körper. Damit der „Brennstoff“ in unsere Körperzellen gelangen kann, ist das Hormon Insulin aus der Bauchspeicheldrüse notwendig. Insulin öffnet der Glukose sozusagen die Tür, damit sie aus dem Blut in die Zellen gelangen kann.
Entwickeln wir im Laufe unseres Lebens eine Insulinresistenz, reagieren vor allem die Zellen in Leber, Muskeln und Fettgewebe nicht mehr so empfindlich auf Insulin. Die Bauchspeicheldrüse muss deshalb immer mehr Insulin ausschütten, um den Blutzucker zu senken. Auf Dauer kann das die Bauchspeicheldrüse überlasten. In der Folge steigen die Blutzuckerwerte – und das Risiko für Typ-2-Diabetes nimmt zu.
Wie Insulinresistenz entsteht, ist noch nicht vollständig geklärt. Sicher ist jedoch: Die Ursachen sind vielfältig und entstehen meist durch ein Zusammenspiel von Lebensstil, genetischen Faktoren und hormonellen Einflüssen. Auch das Alter und bestimmte Lebensphasen (z. B. Schwangerschaft) spielen eine Rolle. Als gesicherter Risikofaktor gilt ein hoher Konsum von zuckerhaltigen Getränken und kohlenhydratreichen Lebensmitteln wie Weißmehlprodukten, Nudeln oder Kartoffeln – vor allem in Verbindung mit Bewegungsmangel. Übergewicht und überschüssiges Fettgewebe, besonders das viszerale Fett im Bauchraum, setzt zudem Botenstoffe frei (z. B. Entzündungsstoffe, freie Fettsäuren), die die Insulinwirkung in Leber, Muskeln und Fettzellen stören.
Was ist der Unterschied zwischen Insulinresistenz und Diabetes?
Insulinresistenz und Diabetes hängen eng zusammen, sind aber nicht identisch. Bei einer Insulinresistenz produziert die Bauchspeicheldrüse zunehmend mehr Insulin, damit Glukose in die Körperzellen gelangen kann. In dieser Phase bleibt der Blutzuckerspiegel oft noch normal.
Von Diabetes mellitus Typ 2 spricht man dagegen, wenn die Bauchspeicheldrüse diesen Ausgleich nicht mehr leisten kann und der Blutzuckerspiegel dauerhaft zu hoch wird.
Insulinresistenz ist damit in vielen Fällen ein Vorläufer – eine Art „Frühwarnsignal“ des Stoffwechsels. Sie lässt sich im Durchschnitt schon etwa 12 Jahre vor der Diabetesdiagnose feststellen.
Was sind die Symptome einer Insulinresistenz?
Insulinresistenz verursacht zunächst keine eindeutigen Symptome. Manche Betroffene berichten über:
• Müdigkeit nach kohlenhydratreichen Mahlzeiten
• Heißhunger oder häufiges Hungergefühl
• Schwierigkeiten beim Abnehmen trotz Bemühungen
• Gewichtszunahme, vor allem am Bauch
Oft fällt Insulinresistenz erst auf, wenn Bluttests erhöhte Insulinspiegel oder auffällige Blutzuckerwerte zeigen. Häufig geschieht dies im Rahmen eines umfassenden Gesundheitschecks.
Welcher Wert steht für eine Insulinresistenz?
In der Hausarztpraxis wird Insulinresistenz meist nicht direkt gemessen, sondern aufgrund von Risikofaktoren und Blutwerten vermutet. Eine mögliche Insulinresistenz lässt sich oft an typischen Merkmalen erkennen:
• Übergewicht, besonders Bauchfett
• Bluthochdruck
• Fettstoffwechselstörungen (hohe Triglyzeride, niedriges HDL)
• Zeichen des metabolischen Syndroms
• Hautveränderungen wie Acanthosis nigricans (dunkle, samtige Hautstellen, meist am Nacken oder in Hautfalten)
Bei Verdacht kann ein oraler Glukosetoleranztest (OGTT) mit Insulinmessung oder die Berechnung des HOMA-IR (Homeostasis Model Assessment of Insulin Resistance) Aufschluss geben. Beim OGTT trinkt der Patient eine Zuckerlösung, anschließend werden Blutzucker und Insulin gemessen. Wenn Insulin übermäßig stark ansteigt, obwohl der Blutzucker noch nicht im Diabetes-Bereich liegt, spricht das für Insulinresistenz.
Der HOMA-IR berechnet sich aus Nüchtern-Glukose- und Nüchtern-Insulinwerten. Werte über 2,0–2,5 gelten häufig als Hinweis auf Insulinresistenz (abhängig von Labor und untersuchter Population).
Nicht nur was wir essen, ist entscheidend, sondern wann wir essen
Kohlenhydratreiche, ballaststoffarme Nahrung wie Fast Food wirkt sich negativ auf die Insulinempfindlichkeit aus. Doch auch der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme kann eine Rolle spielen. Das zeigt eine aktuelle Studie aus Deutschland, die 2025 im Fachmagazin The Lancet eBioMedicine veröffentlicht wurde.
Das Team um Prof. Dr. Olga Ramich vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) untersuchte 46 Zwillingspaare (NUGAT-Studie). Ziel war herauszufinden, ob der Zeitpunkt des Essens die Glukoseaufnahme beeinflusst.
Die Forscher erfassten Essenszeiten, Chronotyp, Schlaf-Wach-Rhythmus sowie Glukose- und Insulinwerte. Ein wichtiger Marker war der sogenannte circadian caloric midpoint (CCM) – der Zeitpunkt, an dem 50 % der täglichen Energie aufgenommen sind.
Ergebnisse:
• Ein höherer (späterer) CCM war mit geringerer Insulinsensitivität assoziiert.
• Nüchterninsulin war bei späterem Essverhalten höher.
• Diese Zusammenhänge blieben auch nach Korrektur für Alter, Geschlecht, Energiebilanz und Schlafdauer bestehen.
Fazit der Studie: Spätes Essen kann den Stoffwechsel belasten und das Risiko für Insulinresistenz erhöhen. Allerdings sind noch weitere Studien nötig, um Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zu klären und genauere Empfehlungen für Betroffene machen zu können.
Wie kommt man aus der Insulinresistenz wieder heraus?
Viele Betroffene fragen sich nach der Diagnose, ob Insulinresistenz umkehrbar und Diabetes abwendbar ist. Die gute Nachricht: Ja – besonders in frühen Stadien ist das möglich.
Die wichtigsten Schritte sind Änderungen im Lebensstil:
1. Abnehmen
Schon 5–10 % weniger Körpergewicht verbessern die Insulinempfindlichkeit deutlich. Besonders Bauchfett spielt hier eine Schlüsselrolle.
2. Bewegung
Muskelarbeit ist der stärkste Stimulus für Glukoseaufnahme – unabhängig von Insulin. Empfohlen wird eine Kombination aus Ausdauer- und Krafttraining. Bereits eine einzige Trainingseinheit wirkt sich kurzfristig positiv aus.
3. Ernährung
Um eine Insulinresistenz wirksam zu bekämpfen, sollten Betroffene zuckerhaltige Lebensmittel und Getränke so weit wie möglich meiden und stattdessen verstärkt auf Gemüse, Vollkornprodukte sowie Nahrungsmittel mit gesunden Fetten und Ballaststoffen setzen.
Wie die erwähnte Studie gezeigt hat, kann auch eine Anpassung der Essenszeiten an die „innere Uhr“ hilfreich sein. Entscheidend ist dabei offenbar nicht die absolute Uhrzeit der Kalorienaufnahme, sondern deren Verhältnis zum individuellen Biorhythmus bzw. Chronotyp. Wer spät isst, sein Schlaf-Wach-Verhalten aber entsprechend verschiebt, könnte demnach weniger Nachteile haben als jemand, dessen Mahlzeiten stark vom eigenen Rhythmus abweichen.
Für viele Betroffene ist diese Methode jedoch nicht so leicht umzusetzen, wie es zunächst klingt. Denn die Forscher untersuchten nicht nur den Zusammenhang zwischen Essenszeiten und Parametern des Glukosestoffwechsels, sondern auch, in welchem Maß das Essverhalten genetisch bedingt ist. Das Ergebnis: Die Zeitpunkte des ersten und letzten Essens sind laut der Studie moderat bis hoch erblich – in einigen Analysen bis zu rund 60 %. Wann wir bevorzugt essen, ist also oft tief in unseren genetischen Anlagen verankert und daher schwer dauerhaft zu verändern.
Fazit
Insulinresistenz ist ein Frühwarnsignal des Stoffwechsels und entwickelt sich oft viele Jahre, bevor ein Typ-2-Diabetes entsteht. Sie bleibt lange unbemerkt, erhöht aber das Risiko für Übergewicht, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und Diabetes deutlich. Eine Diagnose kann aber durch Vorsorgeuntersuchungen beim Hausarzt, etwa im Rahmen eines Gesundheitschecks, gestellt werden.
Die gute Nachricht: Durch Abnehmen, Bewegung, gesunde Ernährung lässt sich die Insulinempfindlichkeit verbessern. Möglicherweise kann sogar eine Anpassung der Essenszeiten an den eigenen Biorhythmus Vorteile in der Vorbeugung und Behandlung der Resistenz bewirken. Wer rechtzeitig handelt, kann die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes oft noch verhindern.






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